MedInform-Konferenz zu Strukturveränderungen im Hilfsmittelmarkt: „Verbesserungen am Gesetz durch Verlängerung der Übergangsfrist, Beitrittsrecht und Präqualifizierungsverfahren“
BERLIN: An der Gesetzgebung im Hilfsmittelbereich wird es weitere Verbesserungen geben. Die bis Ende 2008 bestehende Übergangsfrist wird um ein Jahr verlängert. Parallel wird eine neue Rechtsgrundlage zur Einführung eines Präqualifizierungsverfahrens für Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich eingeführt. Außerdem wird es ein Beitrittsrecht zu abgeschlossenen Verträgen (nach § 127 Abs. 2 SGB V) und eine Informationspflicht über Vertragsinhalte geben. Das Ausschreibungsgebot wird in eine „Kann-Vorschrift“ umgewandelt. Das berichtete die Bundestagsabgeordnete Maria Michalk auf der MedInform-Konferenz „Zwingt der Wettbewerb im Hilfsmittelmarkt die Beteiligten zu Strukturveränderungen?“ am 9. Oktober 2008 vor rund 80 Teilnehmern in Hamburg. Die entsprechenden Beschlüsse sollen nächste Woche im Bundestags-Gesundheits¬ausschuss und im Bundestag gefasst werden.
Die Konferenz stellte „Best-Practice-Modelle“ der Leistungsanbieter vor und gab einen Überblick über die Veränderungen des Marktes der Hilfsmittelversorgung in Deutschland aus Sicht des Vertriebes und des Personalmanagements. Der Druck im Markt nimmt durch die Ausschreibungen, sinkende Preise und steigende Prozesskosten erheblich zu. Das muss bei Leistungserbringern wie Herstellern zu einer eindeutigen Marktpositionierung mit einer Konzentration auf die Kernkompetenzen führen, so Nathalja Charlamenko von rehaVital und Stefan Berner-Böhnig von SCA. Partnerschaftliche Kooperationen zwischen Leistungserbringern und Herstellern würden an Bedeutung gewinnen. Ebenso sei es wichtig, in der Zusammenarbeit mit den Krankenkassen neue Wege zu beschreiten, so Berater Thomas Bade von Salenus. Da die Krankenkassen im Wettbewerb künftig Alleinstellungsmerkmale benötigen, könne man sehr viel leichter neue Versorgungsmodelle gemeinsam entwickeln.
Im Vorfeld der Sondersitzung des Bundestags-Gesundheitsausschusses am 13. Oktober 2008 berichtete die Bundestagsabgeordnete Maria Michalk über die aktuellen Änderungsanträge zum Hilfsmittelbereich. Die massive Kritik der Leistungserbringer an der Ausschreibungs- und Vertragspraxis der Krankenkassen im Hilfsmittelbereich bewirkte, dass die Koalitionsfraktionen die Verlängerung der Übergangsfrist in Erwägung zogen. Aus dieser Diskussion ergaben sich insgesamt 48 Änderungsanträge. So wird das Ausschreibungsgebot in eine „Kann-Vorschrift“ umgewandelt. Damit kann die wirtschaftliche Versorgung mit Hilfsmitteln sowohl über Ausschreibungen als auch über andere Verträge sichergestellt werden. Die derzeit bestehende Übergangsfrist, die Ende 2008 ausläuft, wird um ein Jahr verlängert. Parallel wird in § 126 SGB V eine neue Rechtsgrundlage zur Einführung eines Präqualifizierungsverfahrens für Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich eingeführt. Bei der Erarbeitung der Qualitätsanforderungen sind Krankenkassen und Leistungserbringerverbände gefordert. Maria Michalk: „Die parallele Einführung eines Präqualifizierungsverfahrens gibt der Verlängerung der Übergangsfrist zwar eine andere Bedeutung, stellt im Gegenzug aber für die Zeit nach Ende der Übergangsfrist eine ausgewogene Regelung dar.“ Mit dem Beitrittsrecht zu abgeschlossenen Verträgen und der Informationspflicht über Vertragsinhalte erhalten qualifizierte Leistungserbringer zudem einen nach Versorgungskriterien ausgewogenen Zugang zur Versorgung. „Die Qualität der Versorgung und die Kostenrelation sind stimmig“, so Michalks Fazit.
Ihren ersten Auftritt in neuer Funktion hatte Carla Grienberger, Leiterin des Referats Hilfsmittel beim neuen GKV-Spitzenverband. Die Aufgaben im Hilfsmittelbereich sind vom IKK-Bundesverband auf den GKV-Spitzenverband übergegangen. Dazu gehören die Erstellung und Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses, die Antragsverfahren zur Aufnahme von Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis und die Fortentwicklung des Festbetragssystems. Als weitere Aufgaben werden voraussichtlich ab 1. Januar 2009 die Entwicklung von Kriterien zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen und die Festlegung von Kriterien für das geplante Präqualifizierungsverfahren für Leistungserbringer nach § 126 SGB V hinzukommen. Dieses Präqualifikationsverfahren habe Vorteile für die Unternehmen, da die Anforderungen erstmals kassenübergreifend festgelegt werden. Bei der Frage, ob es sich bei Krankenkassen um öffentliche Aufraggeber handelt und bei Ausschreibungen das Vergaberecht gilt, müsste zunächst die Klarstellung durch den Europäischen Gerichtshofs in den nächsten Monaten abgewartet werden. Für das Verhältnis mit den Unternehmen stellte Grienberger klar: „Wir wollen die kooperative Zusammenarbeit mit Herstellern und Leistungserbringern fortsetzen.“
Nathalja Charlamenko, Prokuristin und Leiterin des Vertragsmanagements bei der rehaVital Gesundheitsservice GmbH, ging auf die Auswirkungen der neuen gesetzlichen Regelungen auf den Hilfsmittelmarkt aus Sicht der Leistungserbringer ein. Die massiven Veränderungen im Hilfsmittelbereich führen dazu, dass die Unternehmen ihre Strukturen und Prozesse überprüfen und anpassen müssen. Die Ist-Situation ist geprägt durch einen steigenden Preisdruck durch die Ausschreibungen und gestiegene Prozesskosten durch die Vertragsverhandlungen. Charlamenko: „Der Druck im System nimmt zu. Das führt dazu, dass es größere operative Einheiten auf allen Leistungsebenen geben muss.“ Erforderlich ist eine differenzierte Betrachtung des eigenen Geschäftsmodells und des Leistungsangebots bzw. Sortiments. Folge muss eine Konzentration auf die betrieblichen Kernkompetenzen sein – mit einer differenzierten Produktauswahl und Lieferantenkonzentration sowie Prozessvereinfachungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Veränderungen haben auch Auswirkungen auf das Verhältnis der Leistungserbringer zu den Herstellern. Hier gehe der Trend „von der konfrontationalen Lieferantenrelation zur verlässlichen Zusammenarbeit“. In der Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gibt es viele „Kampffelder“ aufgrund der gesetzlichen Änderungen. Stichworte seien Pseudoverhandlungen, irrationale Preisforderungen, überhöhte Qualitätsanforderungen und kostenintensive Prozessabläufe. Das Problem lautet nach Charlamenko: „Wir haben steigende Prozesskosten bei sinkenden Preisen.“ Da der Marktzugang künftig nur noch über Verträge gewährleistet sei, werden Kooperationen immer wichtiger: „Wir brauchen eine Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen als Gegengewicht zur Verhandlungsmacht der Kostenträger.“ Eine Prognose, welches Geschäftsmodell das gewinnbringendere sein wird, sei aufgrund der unsicheren Rechtslage jedoch kaum möglich. Klar sei nur: „Die Vielfalt der Leistungserbringer wird insbesondere regional stark zurückgehen.“
Vom Leistungserbringer zum Hersteller: Stefan Berner-Böhnig von SCA Hygiene Products schilderte die Auswirkungen der Gesundheitsreform aus Vertriebssicht eines Herstellers von aufsaugenden Inkontinenzprodukten. In der Marktstruktur vollziehe sich durch Ausschreibungen und Verträge ein fundamentaler Wandel. Das Unternehmen konzentriere sich darauf, mit Krankenkassen Lösungen zu finden, wie die Ausschreibungen sinnvoll durchgeführt werden können. Der Markt für Inkontinenzprodukte habe eine Größe von 300 Millionen Euro. Unterschätzt werde aber von den Krankenkassen die Anzahl der betroffenen Patienten. Rund 1,2 Millionen Versicherte werden über Rezept mit Inkontinenzprodukten versorgt. Das müsse zum Umdenken führen, so Berner-Böhnig: „Ausschreibungen müssen sich mehr an der Qualität der Versorgung orientieren, nicht nur am Preis.“ Er ging auch auf die erforderlichen Anpassungen in der Unternehmensstruktur ein. Aufgrund der kurzen Zeit zwischen Ausschreibungsbekanntmachung und Fristende müssten klare Verantwortlichkeiten festgelegt werden: von der internen Abstimmung über die Angebotsprüfung bis hin zur Angebotsabgabe. Auch die Innendienststruktur müsste angepasst werden, beispielsweise durch die Einrichtung eines Key Account Managements für die großen, bundesweit agierenden Krankenkassen. Wichtig sei es in Zukunft, eine klare Position im Markt zu beziehen: Will man eine Basisversorgung oder Premium-Produkte und Services definieren? Setzt man auf den Erstattungsmarkt oder auf wirtschaftliche Aufzahlung bzw. reine Selbstmedikation? Bei der zweiten Alternative sieht Berner-Böhnig die Chancen für Qualitätsanbieter, die Produktinnovationen vorantreiben und gute Dienstleistungen anbieten.
Berater Thomas Bade, Geschäftsführer der Salenus GmbH, zeigte Konsequenzen der neuen Wettbewerbsinstrumente für die ärztliche Verordnung und die Auftragssachbearbeitung auf. Er schilderte eindringlich das Problem, dass Ärzte über die Veränderungen im Hilfsmittelbereich und die Einschränkung der Wahlfreiheit der Versicherten so gut wie nicht informiert seien. Hier herrsche ein großes Informationsdefizit. Sein Appell: „Die Informationspolitik zu den Ärzten, den Kassenärztlichen Vereinigungen und Ärzteverbänden muss verbessert werden.“ Bade sprach sich auch dafür aus, unterschiedliche Versorgungssituationen im Hilfsmittelbereich nicht über Pauschalen in einen Topf zu werfen. Die Verträge sollten drei Bereiche abbilden bzw. unterscheiden: akut, chronisch und Behinderungsausgleich. Der Akutbereich kann gut über das Hilfsmittelverzeichnis abgedeckt werden. Im chronischen Bereich und beim Behinderungsausgleich gehe es um sehr langfristige Versorgungen. Hier sollten die verschiedenen Marktteilnehmer unter Einschluss der Krankenkassen Prozessdefinitionen und Therapiepfade entwickeln. Das Vertragsverhältnis sollte über einen sehr viel längeren Bereich existieren, wobei der Leistungserbringer Zwischenergebnisse vorlegen muss, um das Vertragsverhältnis aufrecht zu erhalten. In Zukunft könne man mit Krankenkassen neue Versorgungsmodelle sehr viel leichter entwickeln, „denn die Krankenkassen stehen stärker im Wettbewerb und müssen sich unterscheidbar machen“. Für neue Modelle sollte man Krankenkassen aussuchen, die auch die Marktmacht haben, flächendeckende Verträge abzuschließen. Wichtig für die Unternehmen sei der Aufbau eines unternehmensinternen Vertragsmanagements mit der entsprechenden IT-Struktur sowie ein professionelles Leistungsmanagement, das künftig zum zentralen Erfolgsfaktor werde, so Bade abschließend.
Zum Abschluss der Konferenz ging es um Fragen des Personalmanagements, die im Hilfsmittelmarkt wachsende Bedeutung haben. Bernd Sydow, beim Personaldienstleister Adecco zuständig für das Gesundheitswesen, zeigte Modelle auf, wie man mit starken Personalschwankungen umgehen kann. Neben den klassischen Modellen der Zeitarbeit, der temporären Hilfen („Temp to Perm“) oder der Personalvermittlung gibt es auch Poolkonzepte, die eine große Flexibilität durch eine Bereitstellung auf Zeit von denselben Mitarbeitern bieten. „Personalmanagement wird von der reinen Verwaltung zu einem wichtigen Erfolgsfaktor im Kampf um die besten Köpfe der Branche“, so Sydow. Wolfgang Werner, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Lübeck, schilderte Erfahrungen seiner Agentur in der Zusammenarbeit mit Unternehmen bei Personalbedarf oder -überhang. Die Agentur berät und unterstützt beispielsweise bei Teilzeitmodellen, Jobsharing, Gleitzeitmodellen oder Teleheimarbeit. Außerdem gibt es verschiedene Trainingsmaßnahmen, Eingliederungs- und Qualifizierungszuschüsse. Für Fragen der Arbeitgeber wurde unter 01801 – 66 44 66 eine spezielle Servicenummer eingerichtet.