Ich betreue eine inkontinente Angehörige. Zu meinen Aufgaben gehört es Einlagen zu besorgen, Marke TENA Lady. Im März 2008 gab es Probleme. Die BARMER Ersatzkasse hatte einen Exklusiv- vertrag mit der Firma Reha- Zentrum Viersen geschlossen. Von dort bekam ich das Gewünschte, allerdings mit 3 Wochen Verspätung.
Der Reha- Versand verlangte zusätzlich 36 Euro für die Halbjahres- Ration, mehr als ich hier am Ort bezahlt hätte. Man sei vertraglich mit dem Hersteller von SENI verbunden, dessen Produkte könne man preiswert liefern. Die Beschaffung von TENA- Artikeln würde zusätzlichen kostspieligen Aufwand verursachen.
Die BARMER hatte eine Kostenübernahme von 158,52 € zugesagt. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was die Apotheke im freien Verkauf ohne Rezept verlangt. Reha- Zentrum Viersen bestritt diese Rechnung, die BARMER hätte die Zahlen nicht so auf den Einzelfall herunterbrechen dürfen. Aber wie die Kosten in meinem Fall lagen, wußten sie offenbar auch nicht. So bekam ich eine rätselhafte Rechnung mit folgenden Posten: TENA Lady Super 6 x 30 Stück: 36 €, wirtschaftliche Aufzahlung: 36 €, Endbetrag: 36 €.
Es macht wenig Sinn, wenn ich die Einlagen bei einem Lieferanten beziehen muss, der überfordert ist, zu teuer, die Kosten nicht errechnen kann, und der keine Beratung anbietet. Also bat ich die BARMER meinen Lieferanten selbst suchen zu dürfen. Auf eine Antwort warte ich noch heute, die Kasse hüllt sich in Schweigen.
Versorgung mit Pflegeartikeln ist ein Thema für die Öffentlichkeit. Das Fernsehmagazin MONITOR zeigte Interesse. Das erschöpfte sich dann allerdings in Verständnisfragen zu den Zahlen. Tatsächlich gibt es einen undurchsichtigen Wirrwarr von Ladenpreisen, Einkaufspreisen, Festbeträgen, Zuzahlungen, Aufzahlungen und Zuschüssen der Krankenkasse. Mein Taschenrechner gab bei der Rechnerei den Geist auf, sozusagen als Collateralschaden der Gesundheitsreform. Auch das WDR- Studio Wuppertal war interessiert. Der Journalist fragte bei der BARMER nach und erhielt Auskünfte vom Pressesprecher. Schuld sei die Gesundheitsreform, deshalb müssten die Kassen sparen. Dass in meinem Fall höhere Kosten entstehen sei Zufall, in anderen Fällen würden die Kosten sinken. Damit gab sich der Fernsehmann zufrieden. Als sich dann niemand fand, der vor der Kamera sein Leid klagen wollte, war das Thema für ihn beendet.
Ich habe überlegt, ob ich mich dem Diktat der Krankenversicherung und des Lieferanten fügen sollte und SENI beziehen. Im Bekanntenkreis gibt es einige Fachleute für Kranken- und Altenpflege. SENI war ihnen unbekannt. Alle kannten TENA, lobten die Qualität und bemängelten den hohen Preis. Alle kannten auch andere Produkte, teilweise in gleicher Qualität wie TENA und preisgünstiger. Die Qualität sei wichtig, denn beim Versagen der Inkontinenzmittel verbraucht man mehr Material, muss häufiger Wäsche waschen, und die Pflegekräfte müssen unnötige zusätzliche Arbeit leisten. Das Thema ist so kompliziert, dass Krankenhäuser eigene Schulungen für ihre Fachkräfte anbieten. Laien haben ohne fachkundige Beratung kaum eine Chance, das Richtige zu finden.
Hersteller von SENI ist die Firma Torunskie Zaklady Materialow Opatrunkowych in Toruń in Polen. Das Auslieferungslager für Deutschland ist kürzlich kräftig erweitert worden. Auf meine Frage nach der Qualität der Produkte und ob eine Beratung angeboten wird kam ein Päckchen mit Proben. Allerdings versagte SENI Lady im praktischen Einsatz, es zeigte sich ein weniger angenehmes Gefühl auf der Haut, und die Krankenschwester vom Pflegedienst bezeichnete die Einlage als „fimschig“.
Hersteller von TENA ist die schwedische Firma SCA, Svenska Cellulosa Aktiebolaget Hygiene Products. Die deutsche Produktionsstätte liegt in Mannheim- Waldhof. SCA produziert auch so bekannte Artikel wie TEMPO Taschentücher und ZEWA WISCHUNDWEG. Davon profitiert der Vertrieb von TENA, es wird nicht nur in Apotheken und Reformhäusern angeboten, sondern liegt auch in vielen Supermärkten und Drogeriemärkten im Regal. Probleme bei der Versorgung mit TENA konnte gewiss nicht im Interesse von SCA sein. Also fragte ich an, wie ich das Produkt in einer Apotheke meiner Wahl bekommen kann, so schnell wie möglich und mit einer gerechtfertigten Zuzahlung. Die Kundenbetreuerin riet mir, mich an den Geschäftsführer von Reha- Zentrum Viersen zu wenden. Der wolle sich gerne mit mir in Verbindung setzen und das Problem aus der Welt schaffen. Aber statt dessen ließ er auf meine Anfrage hin telefonisch mitteilen, ich sei verpflichtet, die Einlagen in seinem Versandhandel zu beziehen.
Die ganze Geschichte ist so abstrus, dass auf den ersten Blick kein Sinn zu entdecken ist. Warum schließt eine Krankenkasse einen solchen Vertrag? Eigentlich geht es um die 11000 Versicherten der BARMER, die von Viersen aus mit Inkontinenzartikeln versorgt werden sollen. Rechnet man die genannten Zahlen hoch, dürfte sich der Auftrag an den Alleinlieferanten auf ungefähr 3 Millionen € jährlich belaufen. Das ist nicht viel für eine große Krankenkasse. Es ist auch nicht zu erkennen, wie durch den Vertrag eingespart werden soll. Die Kasse hatte auch vorher TENA Lady nicht gänzlich bezahlt, sondern nur einem geringeren Festbetrag erstattet.
Inkontinenz- Patienten gehören vermutlich nicht zu den umtriebigsten Mitbürgern. Lautstarker Protest ist nicht zu erwarten. Wahrscheinlich hat auch nicht jeder Lust, seine körperlichen Gebrechen an die große Glocke zu hängen. Zudem lässt der Wirrwarr bei den Zahlen und Preisen auch rechnerisch geübte Zeitgenossen ins Dunkle tappen. Die meisten Betroffenen werden sich vermutlich fügen ohne zu murren. Und wenn sie mit dem gelieferten Material nicht zurecht kommen, bleibt ihnen keine andere Wahl als sich auf eigene Kosten zu versorgen. Vielleicht werden die Umsätze der Supermärkte mit TENA bald steigen. Dann erübrigt sich das Rezept, wenn es nur Mühen und Lauferei und Kosten verursacht, und am Ende ist niemandem geholfen. Vielleicht werden demnächst einige Betroffene auf den Gang zum Arzt verzichten, und die Zahl der 11000 zu versorgenden Fälle verringert sich. Das brächte tatsächliche eine Einsparung für die Krankenkasse.
Vor Jahren hatte es schon einen ähnlichen Fall gegeben. Damals hatte die AOK einen Exklusivvertrag bei der Versorgung mit Hilfsmitteln geschlossen. Die Aktion erwies sich als Flop, und die Kunden dürfen sich seither wieder an die jeweiligen Reha- Betriebe wenden. Kenner der Szene vermuten, dass die BARMER mit dem Exklusivvertrag über Inkontinenzmittel einen neuen Versuchsballon steigen lässt. Wenn es gelänge, die Versorgung mit Inkontinenz- Artikeln zu kontrollieren und zu reglementieren, würden bald auch andere Warengruppen und andere Kassen folgen. Was das für die Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmittel bedeuten würde, ist kaum vorherzusagen. Und das beträfe dann mehr als nur 11000 Versicherte.