#5 von frosch » 07 Jan 2007 15:36
Hallo Feel so lucky,
beim Lesen Deines Beitrages habe ich mich sehr an meine Zeit als Kind und Heranwachsender erinnert gefühlt. Die Vielzahl der unterschiedlichsten pharmazeutischen, medizinischen und psychologischen Hilfsangebote wurde mir verbunden mit einem immer stärkeren Erfolgsdruck der behandelnden Ärzte, Therapeuten und nicht zuletzt auch den Eltern zuteil. All das wurde zusehends schlimmer und schlimmer, so dass der Leidensdruck des Bettnässens exorbitant stieg, aber nicht weil unbemerkt etwas Urin die Blase verließ, sondern weil mir immer mehr Schuld dafür gegeben wurde.
Die Medizin war nicht bereit, irgendeine Verhaltensoriginalität zu akzeptieren, sondern behandelte auf Teufel komm raus mit immer neuen Therapieangeboten, um sich im guten Gewissen zu wähnen, ja alles versucht zu haben. Den zusätzlich angerichteten Schaden mussten sie dann ja auch nicht weiter verantworten.
Mir wurde als Kind bereits Tofranil verabreicht. Tofranil ist ein stimmungsaufhellendes Medikament aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva, welches in der Nebenwirkung zu ausgeprägterem Harnverhalt führt und daher durchaus günstig beim Bettnässen wirken kann. Aber Psychomedikamente für Kinder? Ich würde als Verantwortlicher diesen Weg bei einer derartig lapidaren Störung gewiß nicht gehen.
Klingelhose? Ob es förderlich sein kann, ein Kind aus dem Tiefschlaf mit Hilfe eines schrillen Signaltons herauszureißen? Möglicherweise führt der Einsatz rascher zu einem trockenen Bett, doch allerdings wodurch? Durch Angst vor dem ohrenbetäubenden Lärm. Für mir Anvertraute würde ich Angst allerdings als Therapiebegleitung ablehnen.
Das Nasenspray gab es zu meiner Zeit noch nicht, doch ist es ein Präparat, dass in das Hormonsystem des Kindes eingreift und ich bin sicher, auch dieses Produkt hätte den Weg damals den Weg in meinen Körper gefunden.
Doch wofür das alles, wofür? Für eine Auffälligkeit, die ab vier mit einer jährlich steigenden Wahrscheinlichkeit einer Spontanremission versehen ist. Spätestens mit der Pupertät - und die setzt bekanntermaßen immer früher ein - ist in 98,5 % aller Fälle das Bettnässen ein Thema der Vergangenheit und bleibt es auch.
Ich gehöre leider zu den 1,5 %, bei denen es zwar besser geworden ist, aber es eben doch keine Garantie auf trockene Nächte oder Sicherheit bei langen Phasen ohne Toilettenmöglichkeit gibt.
Doch damit habe ich zum Glück gelernt, relativ problemlos umzugehen.
Mehr Arbeit kosteten mich die Überwindung einer Angst- und Depressionserkrankung (übrigens genau die Krankheitsgebiete, gegen die Tofranil eingesetzt wird, nur damals hatte ich nachweislich keine derartige Erkrankung) und das ständige Herzklopfen und Erschrecktsein beim Aufwachen, das mir wohl als ständige Erinnerung an die Klingelhose im Bewußtsein bleibt.
Du liebe Feel so lucky machts es ganz richtig: Ziehe das Einnässen aus dem Mittelpunkt und sei uneingeschränkter liebevoller und verständnisvoller Partner für dieses zugegeben lästige Problem, dass aber irgendwann und wahrscheinlich früher als später verschwunden ist und bewahre Dein Kind vor den schädlichen Einflüssen und Nebenwirkungen der verschiedenen Behandlungen.
Verwehre jedoch auch keine apparativen oder technischen Angebote, wenn Dein Kind es aus freien Stücken möchte.
Ich wünsche Euch und allen anderen Betroffenen, die hier mitlesen, größtmöglichen Erfolg bei der Beseitigung einer Verhaltensoriginalität, allerdings ohne neue Störungs- oder gar Krankheitsbilder zu begünstigen oder herbeizuführen.
Herzlichst, Euer René